Käthe Schönle

Malerische Architekturen
Über die Cascade Collages von Käthe Schönle

„Das leere Zeichenbuch liegt vor mir, Seite um Seite wird gefüllt, Schicht um Schicht – wie Sedimente lagern sich Erfahrungen, Begegnungen, Gedanken ab in das, was man als Sein von sich und anderen wahrnimmt.“ Käthe Schönle

Skizzenbücher begleiten Käthe Schönle seit Beginn ihres Kunstschaffens. Schon in frühen Jahren war das stetige Notieren eine erste Beschäftigung mit jenen existenziellen Lebensfragen, die das vielgestaltige Werk der Künstlerin bis heute treiben. Im konstanten Zeichnen des Skizzenbuchs hat sich zweierlei begründet, was sich im Laufe der Karriere Käthe Schönles sodann verfestigte. Nämlich erstens, der Versuch philosophischen Fragen im künstlerischen Ausdruck zu begegnen und zweitens, eine Faszination für das Material, auf dem eben diese Begegnung stattfindet. So bewegt sie sich vom Papier zur Leinwand und immer wieder im Wechselspiel der beiden. Hinzu kommen immer wieder auch neue Materialien, eine Bewegung in den Raum, ins Installative und dann und wann auch ein Schritt ins Angewandte. Kunst bedeutet für Käthe Schönle Material zu transformieren und die inhaltlichen wie die ästhetischen und physischen Spannungsverhältnisse auszuloten. Das Interesse am Hybriden, am Mehrdeutigen und am Vielschichtigen durchzieht ihr gesamtes Œuvre. Eine wichtige Komplizin in dieser Beschäftigung ist die Collage. Die Urform des Zusammenführens – im Geistigen wie im Haptischen. „Collage-Technik ist die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene – und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt“, meinte Max Ernst, und es verwundert nicht, dass Schönle eine Begeisterung für den großen Dadaisten hegt.

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Im Siebdruck findet ihr Interesse an Kontrasten und Durchbrechungen – an Überlagerungen einerseits, und klaren Abgrenzungen anderseits – einen Kulminationspunkt. In den neuen Serien erprobt Schönle wie viel Schichtung ein Bildträger harmonisch tragen kann. Die Drucktechnik ermöglicht der Künstlerin das Durchdeklinieren des Formenrepertoires: Immer wieder wird das Papier bedruckt und darauf wiederum werden bedruckte oder bemalte Papierelemente collagiert. So lässt sich auch das Thema Zeit in den Papieren, die immer mit dem gleichen Schablonenmaterial bearbeitet wurden, nachlesen.

Es ist ein Arbeiten in technischen wie inhaltlichen Modulen, die ineinandergreifen, sich ständig neu zueinander positionieren und gemeinsam zu einer komplexen Bildarchitektur aufbauen. Die Präzision, die den Arbeiten zugrunde liegt, entsteht gleichermaßen aus mutigen Synergien und der Notwendigkeit der Reduktion, aus Verdichtungen und Leerstellen. Dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, beweist Käthe Schönle dabei wiederholt.

Der Umgang mit Druck ist nicht gänzlich neu in ihrem Schaffen, erfährt in den neu entstandenen Serien jedoch neue Ebenen, die sich auch daraus speisen, dass es der Künstlerin gelingt das Malerische mit dem Gedruckten in ein harmonisches Zwiegespräch zu überführen. Selbst die gedruckten Bildstellen zeigen stets deutliche malerische Qualitäten auf und damit auch den Möglichkeitsraum des Siebdrucks.

Im Mittelpunkt der „Cascade“-Serie steht die Auseinandersetzung mit der Farbpalette zum einen und dem Potenzial der Form zum anderen. Abstraktion und Figuration ergänzen einander dort wo die Bildstellen sich in organischen Gebilden lesen lassen und Vermutungen der Gestalt oder einer Landschaft auftauchen, um sich gleich wieder im Gesamterleben zu verflüchtigen. Käthe Schönle offeriert simultane Wahrnehmungsräume: Dort wo die Schablonen mehrdeutig zusammenfinden und die Assoziationsketten angestiftet werden, darf auch ein Augenzwinkern dann und wann nicht fehlen.

Doch es ist nicht nur ein Jonglieren mit Formen, es ist auch ein Spazierenführen von Gedanken. Begleitetet von verschiedenen Denkschulen, die Schönle beschäftigen. Aktuell sind es unter anderem die Schriften von Maurice Merleau-Ponty, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Wahrnehmung und Körperlichkeit gedanklich zusammenbrachte. Der Körper ist bei Schönle allgegenwärtig, nicht nur als Form, sondern auch als konzeptueller Inhalt, der die Grenzen von Innen und Außen abschreitet. „Die Anderen brauche ich nicht erst anderswo zu suchen: ich finde sie innerhalb meiner Erfahrung, sie bewohnen die Nischen, die das enthalten, was mir verborgen, ihnen aber sichtbar ist“, schreibt Merleau-Ponty und beschreibt, ohne es wohl intendiert zu haben, ganz treffend auch das Erfahren jener Kunst, die es versteht, grundsätzlich menschlich zu berühren, weil sie ganzheitlich agiert.

Schönle verschränkt Philosophie und Kunstgeschichte, lässt ihre eigene Wahrnehmung einfließen und versteht es mit technischem Geschick ihre unverkennbare Bildsprache in den Siebdruck zu übersetzen – indem sie die Ideen der Collage, die Idee des Zusammentreffens, zum künstlerischen Prinzip erklärt.

Paula Watzl, April 2021

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